Ein zielloses Schiff voll mit Kindern machte kürzlich die Weltöffentlichkeit auf das Problem des Kinderhandels aufmerksam. Der ist in Westafrika ein weit verbreitetes und lukratives Geschäft. Das Netz von Beschaffern, Vermittlern und Transporteuren spannt sich über ganz West- und Zentralafrika.
Die aufgeschreckte Öffentlichkeit befürchtete Schlimmstes: Von 250 Kindern war die Rede, die ohne Nahrungsmittel und Wasser an Bord ausharrten; von skrupellosen nigerianischen Händlern, die 12-jährige an Plantagenbesitzer verkaufen; von Behörden, die tatenlos zusehen. Die meisten Mutmaßungen stellten sich glücklicherweise als übertrieben heraus. Doch die Tatsache bleibt, dass Kinderhandel in Westafrika ein weit verbreitetes und Gewinn bringendes Geschäft ist. Laut einer Studie von terre des hommes Deutschland werden jedes Jahr Zehntausende Kinder von Schlepperbanden verkauft.
Die Grenzen zwischen Mithilfe in fremden Haushalten, bezahlter Anstellung und sklavenähnlichen Arbeitsverhältnissen sind fließend.
So ist die Migration von Jugendlichen bei zahlreichen Völkern Westafrikas Teil des Erwachsenwerdens. Die städtische Elite in Ghana holt zum Beispiel Mädchen der eigenen Familie aus dem Dorf zu sich, um so seine Herkunft anzuerkennen. Dass Kinder weggegeben werden, liegt auch daran, dass in der afrikanischen Tradition die Erziehung der Kinder in der Verantwortung der ganzen Großfamilie liegt. So ist es insbesondere in Benin ein weit verbreiteter Brauch, dass kinderreiche Familien eines oder mehrere Kinder weggeben: an reichere Verwandte, die eine Ausbildung versprechen, an kinderlose Paare oder Städter, die eine Haushaltshilfe suchen. Vidomégon heißen diese meist etwa 10-jährigen Mädchen und Jungen, wörtlich übersetzt: Kind an jemandes Seite.
Laut der Nicht-Regierungsorganisation terre des hommes haben zwei Drittel aller Haushalte in Cotonou und Porto Novo (Benin) eine oder mehrere Vidomégon. Die Eltern bekommen für ihre Kinder 10.000 CFA, umgerechnet 210 Schilling, in die Hand gedrückt, um die Reise vorzubereiten.
In den wenigsten Fällen, so die Pressesprecherin von terre des hommes, Roxanne Hamel, sei den Eltern klar, dass sie ihre Kinder an skrupellose Händlerinnen zumeist handelt es sich um Frauen verkaufen. Die Mädchen müssen im Haushalt der Händlerinnen mitarbeiten oder sie werden von ihrer Tantie, mit der sie in den seltensten Fällen verwandt sind, in den Kleinhandel eingeweiht. Die minderjährigen Verkäuferinnen in den Straßen von Cotonou und Porto Novo tragen ihre Lasten auf dem Kopf und verkaufen in Bananenblätter eingewickelte Maisfladen, Obst oder Toiletteartikel. Die Situation in Togo, Ghana und Côte dIvoire ist ähnlich. Auch dort werden Kinder in andere Familien geschickt. Laut der terre des hommes-Studie sind ein Viertel der 10- bis 14-jährigen in Lomé platzierte Kinder; in Ghana lebt ein Fünftel der unter 10-jährigen nicht mit den biologischen Eltern zusammen.
Hinter der traditionellen Migration von Minderjährigen steht oft nichts anderes als blanke wirtschaftliche Not. Insbesondere auf dem Land, nach Einbringen der Ernte in der Trockenzeit, werden die Arbeitsmöglichkeiten knapp. Familien, die ein Kind weggeben, hoffen auf Geld und werden durch die Abwesenheit eines Essers entlastet.
Die zunehmende Verarmung der Landbevölkerung macht es Schleppern leicht. Menschenhändler fahren in die Dörfer und machen den Eltern falsche Versprechen, sagt Norbert Fanou-Ako, Direktor von Esam (Enfants Solidaires dAfrique et du Monde). So könnten es sich viele Eltern aus Geldmangel nicht leisten, alle Kinder in die Schule zu schicken. Als Folge davon blieben die Mädchen zu Hause. In der Meinung, ihre Tochter erhalte eine bessere Erziehung und vielleicht sogar eine Ausbildung, willigten die Eltern in das Geschäft ein.
Sowohl die beninische NGO Esam als auch Unicef Benin haben Sensibilisierungsprogramme in zahlreichen Dörfern laufen. Unter anderem sollen Radiosendungen dazu beitragen, die Dorfbevölkerung über das Ausmaß des Kinderhandels zu informieren.
Das Netz von Beschaffern, Vermittlern und Transporteuren spannt sich über ganz West- und Zentralafrika. Die meisten Opfer des Kinderhandels stammen aus Mali, Burkina Faso, Benin und Togo. Zielländer sind die vergleichsweise wohlhabenden Küstenländer Nigeria, Gabun und Côte dIvoire, wo die Kinder für umgerechnet rund 5600 Schilling verkauft werden.
Länder wie Benin und Nigeria funktionieren zudem als Drehscheibe: Entlang der nigerianischen Küste etwa sind diverse Umschlagplätze für Arbeitssklaven bekannt. Von dort aus werden die Kinder auf die rund 500 Kilometer lange Seereise nach Gabun geschickt. Im Zielland arbeiten die Buben auf Kakao-, Kaffee- und Bananenplantagen, die Mädchen erwartet ein Schicksal als Dienstmädchen, Straßenverkäuferin oder Prostituierte.
Schon Mitte der neunziger Jahre war dem malischen Konsulat bekannt, dass ein Netz von Arbeitsvermittlern malischer Nationalität Minderjährige nach Côte dIvoire importierte. Die jungen Arbeitswilligen zumeist sind es Knaben tun sich in ihren Dörfern zu kleinen Gruppen zusammen und schlagen sich bis zu einem größeren Ort nahe der ivorianischen Grenze durch. Am Busbahnhof werden sie von Schleppern angesprochen, die ihnen Arbeit in Aussicht stellen. Eine beliebte Täuschung ist zum Beispiel, mit der Anstellung in einer Boutique in Abidjan (Côte dIvoire) zu locken. Laut terre des hommes geraten so selbst SchülerInnen, die nur einen Ferienjob suchen, in die Fänge von Kinderhändlern.
Nachforschungen der ivorianischen Behörden ergaben, dass in so genannten Campements im Zentrum des Landes insgesamt mehrere tausend Kinder leben, die tagaus, tagein auf Obstplantagen oder Baumwollfeldern arbeiten. Eine Studie von Unicef bestätigt die Existenz solcher Zwangslager, in denen katastrophale hygienische Zustände herrschten und Misshandlungen an der Tagesordnung lägen. Die Kinder würden nachts angekettet und von Aufsehern bewacht auf dem Fußboden schlafen. Viele litten an Unterernährung und Hautkrankheiten, so die Unicef-Studie. Bei Erkrankungen würden Aufputschmittel statt Medizin verteilt.
Im August 2000 unterzeichneten die beiden Staaten ein Abkommen, um Kinderarbeit auf Kakaoplantagen zukünftig zu unterbinden. Die Behörden sind sensibilisiert. Es braucht aber in beiden Ländern strengere Gesetze als heute, damit solche Lager wirklich verschwinden, sagt Esther Guluma von Unicef in Benin.
Durch die jüngsten Vorfälle sei die Öffentlichkeit was das Thema Kindersklaven anbelangt sensibilisiert und die Behörden seien bereit, mehr Mittel einzusetzen, glaubt Guluma. Der Zeitpunkt, gegen Kinderhandel vorzugehen, sei außerdem sehr günstig.
Paula Carega ist freie Journalistin in Basel und lebt derzeit in Cotonou, Benin.
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